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Wenn man Reitweisen beurteilt, dann in aller Regel danach, wie sich Pferd und Reiter präsentieren. Natürlich spielt bei der Beurteilung, ob etwas „schön“ ist oder nicht, auch der jeweilige Zeitgeist eine wesentliche Rolle. Wenn diese Pferde, die wir als schön empfinden, auch noch Preise für ihren Auftritt bekommen, muss man sich über die Methodik der Ausbildung auch keine Gedanken mehr machen. Ich meine dabei nicht einzelne Vorschriften, ob man eine Hilfe so oder anders anwendet, sondern ich meine die „Logik“ der Ausbildung an sich. Alle Bemühungen, dem Pferd ein fairer „Partner“ zu sein, müssen scheitern, wenn wir unseren Idealvorstellungen vom gerittenen Pferd einen höheren Stellenwert einräumen als dem überlegten handwerklichen Können auf Grundlage der Natur des Pferdes und seiner natürlichen Verhaltensweisen. Deshalb sollte die jeweilige Logik der Hilfengebung und der Ausbildung das eigentliche Kriterium dafür sein, wie pferdegerecht eine Reitweise ist. Nachdem ich in der Légèreté meinen Weg gefunden habe, möchte ich deren Grundsätze der Hilfengebung kurz vorstellen, aber auch ihre Abgrenzung zur gängigen Reitlehre erklären.

Allen Überlegungen sei eines vorangestellt: Ein Pferd hat keine Schalter. Das mag banal klingen, – ist es aber nicht, wie man tagtäglich auf Plätzen und in Hallen sehen kann. Vor diesem Problem stehen aber nicht nur heutige Reiter, sondern standen auch Großmeister der deutschen Reitlehre. So schreibt Udo Bürger „Die Einwirkungen, die der Reiter mit dem Unterschenkel auszuüben vermag, sind die natürlichsten und wirksamsten. Der Schenkeldruck wirkt durch die Vermittlung dort liegender Muskeln auf das gleichseitige Hinterbein. […]. Die Anregung dieser Muskeln durch den Schenkeldruck oder Sporenstich hat als Reaktion deren Kontraktion zur Folge, die sich darin auswirkt, dass der Hinterschenkel vorgeholt und das Hüftgelenk gebeugt wird.“ Allerdings muss er sich gleich wieder korrigieren, indem er feststellt: „ dass die Reaktion in Form eines Schüttelns der Haut als einer Abwehrbewegung gegen die Berührung wie bei einem Fliegenstich“ erfolgt. Nur am Rande, selbst wenn Udo Bürger recht hätte, das Vorholen eines Beines führt noch zu keiner Fortbewegung. Und würde der Reiter beide Schenkel gleichzeitig anlegen, müsste ein Pferd nach seiner Logik automatisch in den Halt kommen und darin verbleiben, bis der Reiter die Schenkel wieder löst.

Oder wenn er meint, dass durch eine Parade ein Pferd „zurückkriechen“ müsste, wenn die vortreibende Schenkelhilfe fehle, so folgt diese Logik der Vorstellung, dass Hilfen per se für das Pferd verständlich sind und deshalb entsprechend wirken würden. Aber jeder Reiter weiß, dass ein Pferd, das gelernt hat, auf die Zügeleinwirkung langsamer zu werden oder anzuhalten, noch lange nicht rückwärtsgeht. Noch eine kleine Anmerkung zur Logik von Udo Bürger: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er meint, man könne ein Pferd nach hinten (oder sonst wohin) ziehen – das kann man, aber nur, wenn man nicht auf ihm sitzt. Im Sattel kann der Reiter zwar den Kopf des Pferdes zurückziehen, sonst aber nichts. Auch wenn wir alle immer wieder der Versuchung erliegen, ein Pferd mit unserer Muskelkraft z. B. in eine Richtung lenken zu wollen – es geht nicht.

Bei Egon von Neindorff kann man nachlesen, dass die Hand wie ein Ventil wirken würde, um die Energie aus der Hinterhand im Pferdekörper zu halten und nicht verpuffen zu lassen. Warum dieser Vergleich unsinnig ist, möchte ich an einem Beispiel darstellen: Bei einer Wasserleitung sind die Pumpe, die den Druck im Rohr aufbaut und das Ventil, das den Wasser-Durchfluss regelt, getrennte Einrichtungen. Die Pumpe weiß nichts vom Ventil und das Ventil weiß nichts von der Pumpe. Deshalb kann man auch beide unabhängig voneinander bedienen. Ein Pferd hat diese Unterscheidung nicht: Der Körper ist beides zugleich, Pumpe und Ventil. Wenn die Hinterhand schiebt, wird die Vorhand nicht gleichzeitig bremsen, sondern lediglich die Körpermasse „auffangen“. Und eine Zügelhilfe? Auch sie wirkt auf alle vier Beine. Blöd nur für das Pferd, wenn es verstehen soll, dass es bei der Kombination vortreibender und verhaltender Hilfen weder schneller noch langsamer werden, sondern sich „versammeln“ soll. Diesen Zusammenhang muss es erst einmal verstehen – und das tun die wenigsten Pferde.

Was macht die Légèreté, auf die ich mich mit meinem Reiten beziehe, anders? Der Ausgangspunkt: Alle Hilfen müssen erlernt werden und können auch wieder „verlernt“ werden. Einzige Ausnahme ist die Balance, die man tatsächliche als natürliche Hilfe bezeichnen kann. Und weil dem so ist, ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Erlernen einer Hilfe, deren Eindeutigkeit und „Klarheit“ für das Pferd. Wenn der Schenkel sagt: Geh vorwärts und die Hand gleichzeitig geh nicht vorwärts macht das Pferd zwangsläufig immer etwas falsch. Wem soll es folgen, dem Schenkel oder der Hand? Jedes Kombinieren sich widersprechender Hilfen muss ein Pferd verunsichern und hat zu unterbleiben. Entweder treibt der Schenkel, – dann hat die Hand „Sendepause“. Oder die Hand wirkt verhaltend, – dann darf der Schenkel nicht treibend wirken. Das betrifft nicht nur die Ausbildung, sondern das Reiten insgesamt.

Daraus folgt ein zweiter Grundsatz: Hilfen werden nur gegeben, wenn eine Verhaltensänderung erreicht werden soll. Sobald der jeweilige Übergang stattgefunden hat, muss das Pferd sich selbst überlassen werden: Jede Hilfengebung muss aufhören, keinerlei Hilfen dürfen aktiv sein, Stille muss herrschen. (Jean-Claude Racinet).

Wird eine Hilfe auch dann gegeben, wenn keine Verhaltensänderung bezweckt wird, wie beim ständigen Treiben, verliert sie über kurz oder lang jede Bedeutung. Damit verbietet sich auch ein „Einrahmen zwischen allen Hilfen“. Die Selbstständigkeit des Pferdes ist in der Légèreté ein wesentliches Ausbildungsziel. Zur Selbstständigkeit gehört die Freiheit, einen Fehler machen zu können. Ein „Einsperren“ zwischen allen Hilfen ist das Gegenteil von Freiheit.

Natürlich hat die Erziehung zur Selbstständigkeit auch weitergehende Konsequenzen für die Ausbildung: Wenn ein Pferd z. B. in einem bestimmten Tempo traben soll, ohne dass der Reiter ständig korrigierend eingreifend darf, dann darf das Tempo nicht höher sein als der Ausbildungsstand des Pferdes oder seine Kraft und Kondition dies zulassen. Und in dem Zusammenhang noch eine „Weisheit“: Wer die Kondition vor der Kraft trainiert, trainiert Widersetzlichkeit. Auch deshalb ist in der Légèreté der Schritt die wesentliche Gangart in der Ausbildung.

Diese Logik betrifft natürlich auch die Handhilfen. Grundregel: Basis für ein entspanntes Pferd, das dem Reiter keine Widerstände entgegensetzt, ist ein Pferd, dass das Maul (und damit auch den Hals) nicht verspannt. Wenn die Hand auf einen Widerstand trifft, wie z. B. bei der Aufforderung, den Hals seitlich zu biegen und das Pferd leistet dagegen Widerstand, dann hebt der Reiter den Unterarm und die biegende Hand aus dem Ellbogengelenk heraus an und wirkt in kurzen Impulsen in Richtung Maulspalte ein, um den schmerzhaften Druck auf die Zunge zu vermeiden. Ein Pferd, das ohne jede Hektik mit einem entspannten Maul kaut, lässt sich auch im Hals biegen.

Jetzt fragt sich natürlich, ob der Reiter das Maul (und die damit verbundenen Muskelketten) bewusst entspannen kann. Ohne hier näher darauf einzugehen: Er kann! In der Légèreté nennt sich das „Nachgeben im Unterkiefer“. Darüber wird es einen eigenen Blog geben.

Handhilfen werden (parallel zu den Schenkelhilfen) immer nur kurzzeitig gegeben – auch dann, wenn sie nicht zum Erfolg führen. In diesem Fall unterbricht der Reiter seine Hilfe, lässt den Widerstand des Pferdes abklingen und gibt dann die Hilfe erneut.

Treibt der Schenkel, gibt die Hand sanft nach. War das Treiben erfolgreich, kommt die Hand wieder in ihre Grundstellung, das heißt, dass sie unterhalb der Verwirklichungsschwelle einer Hilfe bleibt.

 Wenn das Pferd einer annehmenden Hilfe nachgekommen ist und das Tempo reduziert hat, stellt die Hand jede weitere Einwirkung ein und hält lediglich noch den Kontakt zum Maul.

Es geht also in der Légèreté darum, Widerstände erst gar nicht aufkommen zu lassen, – wenn aber Widerstände da sind, diese aufzulösen, bevor man mit der Arbeit an einer Lektion beginnt. Aber für das Pferd muss auch klar sein, dass es sich einer Hilfe, die es erlernt und verstanden hat, nicht entziehen darf.

  • Der Sinn von Hilfen besteht immer darin, eine Verhaltensänderung des Pferdes zu bewirken, aber nicht darin, ein Verhalten aufrecht zu erhalten.
  • Hilfen dürfen vom Pferd niemals ignoriert werden.
  • Eine Hilfe muss aufhören, wenn sie erfolgreich war.
  • Hilfen dürfen sich niemals widersprechen.

So weit unser Anspruch an das Pferd. Doch welche Fähigkeiten und Fertigkeiten muss ein Reiter erwerben?

Natürlich muss er alle Hilfen so lernen, dass sie den oben genannten Anforderungen gerecht werden. Aber im Mittelpunkt der Kommunikation von Reiter und Pferd steht die Synchronisation der Bewegungsabläufe. Das Erfühlen können der Rückenschwingungen des Pferdes und das Aufnehmen der Schwingungen mit dem Becken (!) bei einem stabil getragenen Oberkörper. Das Synchronisieren trifft auch auf die Verbindung von Hand und Maul in den verschiedenen Gangarten zu. Auch das Spüren, ob der Rücken seitlich nach einer Seite abfällt oder beide Seiten gleich hoch sind, gehört zur Grundausbildung des Reiters.

Als Kinder haben wir gelernt, uns auf einem festen Boden zu bewegen. Der Boden gibt uns Halt und Sicherheit, – auf dem Pferd haben wir keinen festen Boden mehr. Auch wenn wir immer wieder der Versuchung anheimfallen, das Pferd irgendwohin ziehen zu wollen, vom Sattel kann das nicht funktionieren. Ein Vergleich, um das zu verdeutlichen: Kein Fahrrad fährt rückwärts, nur weil man an der Lenkstange zieht. Der Reiter ist dem Pferd ausgeliefert und das muss er ertragen können.

Deshalb gehört zur Grundausbildung des Reiters die Fähigkeit, sich zu trauen, die Kontrolle einfach mal außen vor zu lassen, um zu sehen, was passiert. Und das ist für den menschlichen Kontrollfreak fast schon eine Herkulesaufgabe. Hinnehmen, dass ein Pferd nicht immer das tut, was es soll. Die Zügel einfach auf den Hals legen, das Pferd im Schritt (oder Trab, aber es darf auch Galopp sein) antreten lassen und schauen, was passiert: Lässt es sich auf unser „Spiel“ mit der Balance ein? Strebt es zielsicher schnurstracks zum Ausgang der Halle? Oder bleibt es leicht verwirrt gleich wieder stehen? Müssen wir ständig „nachtreiben“? In jedem Fall zeigt uns das Pferd, was es von uns hält. Können wir die Zügel in der Bewegung (Schritt, Trab oder auch Galopp) so aufnehmen, dass es seine Bewegung unverändert beibehält? Können wir es im Hals biegen, ohne dass es sich verspannt? Können wir fühlen, wann wir Kontakt zum Maul haben, ohne dass die Zügel „gespannt“ sind? Es gibt viel zu lernen und zu üben. Trauen wir uns, unser Pferd so zu erfahren, wie es ist!