In der Fantasie ist Reiten lernen ganz einfach: Man setzt sich auf ein Pferd und der Reitlehrer erklärt, wo das „Gas“ ist, wo die „Bremse“ und wie man lenkt. Was gibt es da viel zu lernen?

Wie wir alle aber irgendwann erfahren mussten, ist Reiten lernen doch nicht so einfach. Denn uns Menschen wurden ohne unser Wollen Reaktionen unseres Körpers in die Wiege gelegt, die wir nicht bewusst steuern, die uns aber in unserem Alltag äußerst nützlich sind. Besser gesagt, wir haben sie in den ersten Jahren unseres Lebens durch mühsames Training erlernt und so weit verinnerlicht, dass wir darüber nicht mehr nachdenken müssen. Deshalb können wir in bestimmten Situationen sehr schnell reagieren – eben, weil wir nicht nachdenken müssen. Aber die Kehrseite: Wenn wir nicht nachdenken müssen, steuern uns diese Reaktionen auch in Situationen, die dafür nicht passen. Und das immer wieder – wir wiederholen unsere Fehler, ohne es zu wollen.

Unsere unbewussten körperlichen Reaktionen haben sich herausgebildet als wir lernten von einem festen Boden aufzustehen, uns auf diesem Boden aufrecht zu halten und zu gehen, ohne umzufallen. So nützlich das für unseren Alltag auch sein mag, für das Reiten sind diese erlernten, fest verankerten Reaktionen untauglich! Mehr noch, sie stehen uns im Weg, weil sie einen festen Standpunkt (z. B. den Boden und unseren Füßen) voraussetzen. Schon beim Schlittschuhlaufen helfen uns die abgespeicherten Reaktionen nicht mehr. Beim Reiten verstärkt sich das Problem, weil das Pferd sich bewegt, ohne dass wir einen mechanischen Einfluss darauf hätten. Wir können es vom Sattel aus weder irgendwohin ziehen oder drücken und machen immer wiedeer die Erfahrung die Kontrolle zu verlieren. Eigentlich sind wir auf ainem Pferd hilflos. Und es gibt keinen Reiter, der diese Erfahrung nicht schon am eigenen Leib erfahren hätte.

Die Angst vor diesem Kontrollverlust wird schon dadurch ausgelöst, dass das Pferd im gemächlichen Schritt auf dem ersten Hufschlag gegen unseren Willen einfach mal so abwendet. Unsere nur allzu menschliche Reaktion: Ärger, blindes am Zügel ziehen ohne Sinn und Verstand. Nicht weil wir „böse“ wären, sondern weil uns unser Pferd unsere Hilflosigkeit vorführt und wir uns als Reaktion automatisch so verhalten, als müssten wir das Pferd mit Kraft und Muskeleinsatz beherrschen. Aber das geht nicht, weil wir auf dem Pferd sitzen und keinen festen Boden unter den Füssen haben. Wir müssen lernen unsere Hilflosigkeit auf einem Pferd auszuhalten, um im Kopf Platz für Vernunft und die emotionslose Selbstbeobachtung zu lassen. Wir können unsere Fehler nur dann korrigieren, wenn wir sie kennen und benennen können. Natürlich kann ein Beobachter dem wir vertrauen und der uns eine entsprechende Rückmeldung gibt sehr nützlich sein.

In einem zweiten Schritt müssen wir lernen, unsere automatisierte Reaktion zu „unterbrechen“. Das aber geht nur, wenn wir alle Aktionen sehr langsam und bewusst ausführen. so langgsam, dass wir uns selbst „zusehen“ können. Und wenn wir es ertragen können, dass das Pferd etwas anderes macht, als wir eigentlich wollen. Es geht um Geduld mit uns selbst.

Es hilft nichts, es gibt nur fühlen, uns bewusst machen was wir tun und dann üben, üben, üben. In kleinen Schritten, mit Geduld, Konsequenz, Disziplin und natürlich einem Ausbildungsplan. Und mit dem Wissen, dass sich Menschen kaum länger als 3 Sekunden ausschließlich auf eine Sache konzentrieren. Nach diesen ca. 3 Sekunden werden die Gedanken abschweifen und sich mit etwas anderem beschäftigen. Das ist auch der Grund, warum Reitlehrer früher von einem Schüler beim Reiten auf einem Zirkel verlangten, sich selbst ständig zu sagen: „ich muss abwenden – ich muss abwenden usw.“ Wir müssen lernen auf einem Pferd neue unwillkürliche Verhaltensweisen auszubilden. Und das geht nur in kleinen Schritten mit Fleiß und Geduld. Negative Emotionen haben dabei nichts verloren.

Ein letzter Punkt noch: Die besten Reiter und Reitlehrer sind die zuschauenden Stallkollegen – sie wissen immer wer was falsch macht. Auch in diesem Punkt sollten wir lernen uns innerlich abzuschotten und ganz bei uns selbst zu bleiben. Im Moment des Reitens gibt es nur mich und mein Pferd – alles andere ist unwichtig.

Trauen wir uns, uns unsere nur allzu menschlichen Fehler einzugestehen, uns nicht über sie zu ärgern, sondern sie ohne „emotionale Wallungen“ zur Kenntnis zu nehmen und Schritt für Schritt abzubauen. Denn je stärker wir uns unseren Gefühlen ausliefern, umso mehr liefern wir uns unseren Fehlern aus.

Und weil das alles so ist, wie es ist, ist Reiten lernen auch so schwer!

Reisch, 27.01.2022